Wut verdauen

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Die eigene Wut-Stimme, die Verstörungs-Stimme.

Wer viel liest und Sachen mitkriegt, der kann jetzt nicht anders als von neuem konfrontiert zu sein mit dem Abscheu über ein System, das Machtmißbrauch in Form von sexuellen Übergriffen unterstützt, seit 1000en von Jahren, auch genannt Patriarchat. Und gleichzeitig die Aufregung darüber spüren, dass sich ein Riß auftut in dem System, das wir alle zutiefst verinnerlicht haben. Und dieses Aufreissen tut weh, weil es von neuem die Angst, die Wut, die Ohnmacht bewusst macht; gleichzeitig ist es gut, diesen Schmerz zu spüren, das heißt, dass man den Riß sieht und somit das System.

Aber es ist anstrengend. Mir ist schon ganz schlecht und ich möchte nicht in Wut und Angst versinken oder doch, es ist ok, aber dann wieder auftauchen, wieder zu einer Stimme gefunden haben.

Dass Lachen und Liebe gleichzeitig existieren kann mit dem Schrecklichen. Oder zu einer Stimme, die beides verbindet. Immer wieder: Stimme verlieren, Stimme finden.

Ich will wieder naiv sein dürfen – naiv als Wert.

Dazu kommt meine Befremdung über diese Männer, die jetzt in Österreich gewählt worden sind – die ich jetzt jahrelang hören und sehen muss, die mir so fremd sind, deren Werte mir so fremd sind, so nichtexistent vorkommen, so unwesentlich, veraltet, phantasielos.

Meine Befremdung verdauen. Und der Wert des Verdauens. Ich will in meinem Tempo fühlen, verdauen dürfen. Mein Fühlen, mein Zusammenweben, mein Verdauen – ich will, dass das als Wert erkannt wird – zuallererst von mir.

Eine fast unaushaltbare Wut auf dieses System, in dem wir immer noch leben und das sexuellen Mißbrauch systematisch ermöglicht. Und man fragt sich: Haben diese Männer eigentlich keine Mütter, keine Schwestern, keine Töchter (oder Söhne)?

Links zum Wutverstärken:

 

“We are not separate from the world’s problems. Or it’s perfection.

[Chani Nicholas]

Schönheit in Schiarchheit finden. Oder: Schönheit trotz Schiarchheit wiederfinden.

Ein Mantra – Adi Shakti – war eine gute Antwort gestern auf meine Fragen (neben Schreiben und Meditieren). Auf meine Wut, Traurigkeit, Verstörtheit. (Du findest mehrere Versionen dieses Mantras auf Youtube.) Und Yogi Bhajans Worte dazu (in seinem lustigen Englisch):

“Merge in the Maha Shakti. This is enough to take away your misfortune. This will carve out of you a woman. Woman needs her own Shakti, not anybody else will do it. When a woman chants the Kundalini Bhakti mantra, God clears the way. This is not a religion, it is a reality. Woman is not born to suffer, and woman needs her own power.”

Auch gut: Sich den weiblichen Buddha Tara vorzustellen, sie herbeizurufen – die mit den 100 Gesichtern, die sanft sein kann und schön und wild und böse und häßlich, je nachdem, was gebraucht wird: Sie sich vorzustellen in ihrer Ausformung als Vernichterin von Widerständen: Das rechte Bein angezogen, das linke ausgestreckt, brennend, schwarz, TRÄT! und PHÄT! schreiend. Sowohl wenn wir spüren, dass uns jemand schaden will, oder auch in der U-Bahn gegen blöde, übergriffige Blicke hilft es, diese Tara zu visualisieren, als auch, wenn wir uns selber angreifen (wenn wir uns mit Gedanken über die eigene Minderwertigkeit oder Selbstmitleid quälen).

Abwechselnd Wut, Traurigkeit und Verstörtheit – und gleichzeitig große Dankbarkeit über die wunderbaren, bewussten, mutigen Menschen  – Frauen und Männer – in meinem Leben. Der Drang, über das Stammeln meiner Verstörung meine Stimme zu finden. Und ja, ich denke, der Prozess des Stimme-(Wieder-)Findens ist schon eine legitime Stimme. Und dass dieser Prozess teilenswert ist.

Sich wieder auf die eigenen Werte besinnen, allen voran: Phantasie, Diversität, Dankbarkeit, die Fähigkeit Schönheit zu sehen und sich daran zu erfreuen, … schließen nicht das  dringlichkeits- und zeitgeschuldete Einverleiben und die Auseinandersetzung mit dem Schrecklichen, dem Unverstehbaren, dem Kotzen-Machenden aus und bedingen, darüber wütend zu sein, die Wut zu spüren, zu artikulieren und dann die Traurigkeit.

#MeToo ist eine gute Sache. Maria Theresia Paradis im Film “Licht” von Barbara Albert über sie, die blinde Pianistin zu Mozarts Zeiten (der jetzt bei der Viennale anläuft, auf den ich mich schon sehr freue, auch, weil meine großartige Kollegin Gabriela Hütter mitspielt) Resi also sagt im Film:

 „Wer nicht sehen kann, der wird nicht gesehen. Wer nicht gesehen wird, wird auch nicht gehört. Der lebt nicht.“

#MeToo ist eine gute Sache. Nicht mehr schämen, nicht mehr sprachlos sein. Ich teile die Hoffnung von Justina Blakeney:

“I don’t want to feel guilt or shame around not knowing how to deal with unwanted advances—as both a pre-teen and as a 38 year old woman. And mostly, I don’t want my daughter (or any of our children!!) to have to deal with the same climate I grew up in, and make choices based on fear or shame as I have. It’s NOT okay.” (Justina Blakeney)